Projektstory
Freiraum mit Zukunft
Roland Kuster ist Limmattaler aus Überzeugung. Der Gemeindeammann von Wettingen weiss um die Bedeutung von Freiräumen. Deshalb setzt er sich für den Landschaftskorridor «Sulperg–Rüsler» ein.
Herr Kuster, woran denken Sie beim Wort Limmattal?
Mir kommt das «blaue Band» in den Sinn, sprich die Limmat. Sie ist das prägende Landschaftselement des Limmattals. Das Wasser ist in Bewegung, es ruht nie. Das steht sinnbildlich für das Limmattal.
Sie leben seit Ihrem zehnten Lebensjahr hier. Haben Sie sich rasch heimisch gefühlt?
Ich hatte das Glück, dass mir meine Eltern die Vielfalt des Limmattals gezeigt haben. Die Höhenzüge auf beiden Talseiten haben wir sehr bald wandernd erkundet und auch ausgedehnte Spaziergänge entlang der Limmat waren Pflicht. Daraus ist eine enge Bindung zur Landschaft entstanden. Deshalb, ja, es ging rasch.
Welche Bedeutung hat das Limmattal für Wettingen?
Wettingen ist vor allem ein attraktiver Wohnort. Die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet ausserhalb der Gemeinde, vor allem im Limmattal oder im Grossraum Zürich, der über das Limmattal erreichbar ist. Weil Wettingen im Limmattal eingebettet ist, spielt sich das gesellschaftliche und kulturelle Leben ebenfalls grösstenteils im Limmattal ab. Nur schon deshalb ist die Bedeutung des Limmattals für Wettingen gross.
Ist die Bevölkerung sich dessen bewusst?
Ja, das ist sie. Trotzdem verstehen sich nur wenige als Limmattalerinnen und Limmattaler. So weit sind wir noch nicht.
Verstehen Sie sich als Limmattaler?
Von jedem Ort in Wettingen bin ich in fünf Minuten im Grünen. Ausserdem geniesse ich dank der hervorragenden Limmattaler Verkehrsanbindungen die Nähe zu Zürich. Das bietet eine hohe Lebensqualität. Ich lebe gern im Limmattal. Hier ist mein Lebensraum. Darum bin ich Limmattaler!
Naherholung hat im Zuge der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Wo finden Wettingerinnen und Wettinger ihre Naherholung?
Für die Wettinger Bevölkerung stehen zwei Naherholungsgebiete im Vordergrund: die Lägern und die Uferlandschaft der Limmat. Was dagegen noch kaum erschlossen ist, ist der Freiraum im Osten unseres Gemeindegebiets …
… das Gebiet des Landschaftskorridors «Sulperg–Rüsler».
Richtig. Und das wollen wir ändern. Gemeinsam mit den Gemeinden Würenlos, Neuenhof und Killwangen, die ebenfalls an diese Landschaft angrenzen, möchten wir diesen Freiraum erlebbar machen. Der Korridor wird zwar durchzogen von Strassen und Eisenbahnlinien, aber die zentralen Elemente sind seine grünen Freiflächen samt den natürlichen und historischen Sehenswürdigkeiten. Das Potenzial für die Naherholung ist gross.
Schliessen Sie eine Ausdehnung des Siedlungsraums in den Korridor aus?
Wettingen, Würenlos, Neuenhof und Killwangen schliessen das gemeinsam aus! Wir haben uns verpflichtet, diesen grünen Landschaftsstreifen quer zum Tal für kommende Generationen zu erhalten. Er ist für die Attraktivität des Limmattals wegweisend. Er sichert den freien Zugang zur Limmat und zu den Hangflanken.
Wie eng ist die Zusammenarbeit der vier Gemeinden?
Sehr eng. Wir verfolgen das gleiche Ziel und ziehen an einem Strang.
Sie sagen, das Potenzial dieses Freiraums sei gross. Was muss dafür getan werden?
Der Korridor ist kein Selbstläufer. Wir müssen in seine Infrastruktur investieren und der Bevölkerung von seinen Vorzügen erzählen. Das heisst: Zugangswege müssen erstellt und Erlebnismöglichkeiten eingebettet werden. Man kann zum Beispiel die einmalige Schilflandschaft am Limmatufer oder die historischen Gräben in Würenlos nur dann entdecken, wenn ein Weg dorthin führt und wenn man weiss, dass es diese Erlebnismöglichkeiten gibt. Darum ist ein Weg durch den Korridor geplant. Er führt an den verschiedenen Erlebnisstationen vorbei.
Wichtiges Element dieses Erlebniswegs ist der neue Limmatsteg zwischen Wettingen und Neuenhof. Im Herbst soll der entsprechende Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden. Wie geht es dann weiter?
Gleich vorweg: Der Kanton Aargau hat sich zum Projekt bekannt. Das gibt dem gesamten Vorhaben Rückenwind. Die Wettbewerbsausschreibung ist ein wichtiger Schritt. Im Frühjahr 2021 wird er abgeschlossen sein. Daran schliessen sich die nächsten Schritte des Bauprojekts an wie Projektierung und Ausführung. Parallel dazu müssen wir noch Bewilligungsverfahren durchlaufen und es besteht Koordinationsbedarf, etwa mit dem regionalen Gesamtverkehrskonzept für den Ostaargau. Insbesondere die Zugangswege zum Korridor für den Veloverkehr und die Abstimmung mit dem Radroutennetz sind wichtig. Zentrale Voraussetzung ist jedoch, dass der Steg im Richtplan des Kantons Aargau durch den Grossen Rat voraussichtlich im Dezember 2020 festgesetzt wird. (Red.: Der Richtplan definiert die zentralen Eckpunkte der Raumentwicklung.)
Wann kann man über den Steg spazieren?
Ich rechne damit, dass der Steg 2022 oder 2023 gebaut wird. Eröffnung ist dann folglich 2024.
Rechtzeitig zur grossen Ausstellung der Regionale 2025.
Das ist das Ziel! Die Regionale 2025 unterstützt uns bei der Umsetzung des Projekts. Sie bietet uns eine Bühne, um darauf aufmerksam zu machen. Das Projekt passt perfekt zur Regionale 2025: Es ist innovativ und hat Pilotcharakter. Seine Umsetzung ist zeitlich begrenzt und seine Wirkung ist nachhaltig für ein breites Publikum und dauerhaft über die Projektschau 2025 hinaus. Gemeinsam mit der Regionale 2025 glauben wir an eine grosse Zukunft für das Limmattal, das von aussen oft als Durchfahrtsgebiet mit vielen Immissionen wahrgenommen wird. Wir wollen aktiv mithelfen, diese Zukunft mitzugestalten und die Lebensqualität zu verbessern.
Sie sind Vizepräsident der Regionale 2025. Warum engagieren Sie sich bei der Projektschau?
Bislang dachte und handelte man in engen räumlichen Kategorien. Zuerst gab es die Gemeinde, allenfalls noch den Bezirk, dann natürlich den Kanton. Das Limmattal überschreitet allerdings solche Grenzziehungen. Wer das Limmattal als Region voranbringen möchte, muss diese klassischen Kategorien aufgeben und eine neue Sichtweise einnehmen. Das heisst: Die bestehenden politisch-administrativen Grenzen müssen überwunden werden. Nur so kann die Zukunft des Limmattals gemeinsam gestaltet werden.
Hat sich daran etwas verändert, seit es die Regionale 2025 gibt?
Ich denke schon. Das Bewusstsein für die gemeinsame Sache ist gewachsen – zumindest auf Ebene der Exekutiven. Solche Prozesse dauern übrigens lang. Man denkt heute zunehmend über Gemeinde- oder Kantonsgrenzen hinaus, man spricht miteinander, hört zu und sucht nach Lösungen, die das Gemeinsame voranbringen. Mit solchen Lösungen soll das Bewusstsein für das Limmattal auch in der Bevölkerung wachsen.
Hat sich Ihre Betrachtungsweise verändert?
Ja. Früher hat mich das politische Geschehen etwa in Geroldswil oder Dietikon kaum interessiert. Heute nehme ich es wahr und interessiere mich dafür. Entscheidungen, die dort getroffen werden, können auch Wettingen betreffen.
Man sitzt im gleichen Boot.
Genau. Die Herausforderungen, vor denen das Limmattal mit seinen national bedeutsamen Infrastrukturen steht, sind komplex. Sie können nicht auf Gemeindeebene gelöst werden. Denken wir an die Mobilität oder die Standortattraktivität. Hier braucht es Lösungen, die regionale und nationale Aspekte berücksichtigen. Ohne die enge Zusammenarbeit geht es nicht mehr. Und die Regionale 2025 führt uns das regelmässig vor Augen.
Zurück zum Korridor: Wie kommen die Erlebnisstationen voran?
Sie sind alle definiert, realisiert ist aber noch keine. Auch hier gilt: Neben der Projektplanung müssen parallel dazu Bewilligungsverfahren angestossen werden. Es gibt im Landschaftskorridor auch Schutzgebiete. Mit den betreffenden kantonalen Ämtern suchen wir gute Lösungen, damit wir die Stationen umsetzen können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir schon bald in der Lage sind, Konkretes vorzustellen. Wir werden auf jeden Fall rechtzeitig mit den Erlebnisstationen fertig sein. Sie sind zentral. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Schönheit und den Reichtum der Landschaft und schaffen damit Lebensqualität. Darauf können wir uns alle freuen.
Sie haben gesagt, dieser Korridor sei ein Pilotprojekt. Wieso?
Das Limmattal weist noch andere ähnliche Korridore auf. Doch keiner davon ist in der Erschliessung derart fortgeschritten wie der unsere. Wir betreten Neuland. Wir zeigen auf, was es heisst, einen solchen Freiraum für die Bevölkerung und die Natur aufzuwerten und gleichzeitig weitere Interessen zu berücksichtigen. Landwirtschaft und Verkehr beanspruchen ja ebenfalls einen Teil dieses Raums. Von diesen Erfahrungen können die anderen Projekte direkt profitieren.
27. August 2020
Zur Person
Roland Kuster prägt als Gemeindeammann die Geschicke von Wettingen – der hinter Aarau grössten Gemeinde des Kantons Aargau. Der CVP-Politiker war zehn Jahre Mitglied des Wettinger Gemeinderats, 2016 wurde er zum Gemeindeammann gewählt und seit 2019 sitzt er im Aargauer Grossen Rat. Der 61-Jährige ist von Haus aus Geograf und Kartograf; er ist Präsident von Baden Regio, dem Regionalplanungsverband Baden und Umgebung, und Vizepräsident der Regionale 2025. Er stehe für klare Entscheidungen und trage gern Verantwortung, sagt er, daher sei die Arbeit in einer Exekutive das Richtige für ihn.
Zum Projekt
Auf dem Wettinger Gemeindegebiet beginnt der Landschaftskorridor «Sulperg–Rüsler». Er erstreckt sich bis Neuenhof, auf der anderen Seite des Limmattals, und berührt die Gemeinden Würenlos und Killwangen. Grössere Freiflächen bestimmen den Charakter des Korridors, zudem lockern die Freiflächen den dichten Verkehrs- und Siedlungsraum auf, der für das Limmattal typisch ist. Ein Projekt von Baden Regio möchte diese Freiflächen wahren und fördern. Die Landwirtschaft soll sie nutzen dürfen, aber auch die Bevölkerung für Freizeit und Erholung. Das Projekt ist eingebunden in die Regionale 2025 und wurde für die grosse Projektschau nominiert.
querwanderung.regionale2025.ch (virtuelle Tour durch den Landschaftskorridor)
wettingen.ch
baden-regio.ch
Hinweis: Sonntagswanderung durch den Landschaftskorridor mit Roland Kuster: Sonntag, 30. Mai 2021, 10-15 Uhr