Regionale 2025

Projektschau

Limmattal

PLAY!

4 Städte, 12 Gemeinden, 2 Kantone – vereint und gemeinsam.

Neue Ideen für Gesellschaft, Raum und Kultur.

Wegweisende Projekte für ein vernetztes Limmattal.

Eine Plattform für Menschen, die das Limmattal gestalten.

Impulsgeberin und Motor für die Region.

Projektstory

«Musik ist stark»

Kulturelle Vielfalt ist eine Ressource. Man muss sie nur nutzen. Christian Fotsch tut das mit Limmattaler Schülerinnen und Schülern. Ein Projekt mit Pioniercharakter.


Der Mensch kann die Augen schliessen, die Ohren aber nicht. Unser Hörsinn ist ständig auf Empfang. Nehmen wir einen Rhythmus wahr, möchten wir uns bewegen – den Kopf wiegen, mit dem Bein wippen, mit den Händen trommeln. Wenn wir ein Lied hören, beginnen wir zu summen oder singen gleich mit. Auch deshalb bedeutet uns Musik so viel.

Christian Fotsch kann viel darüber erzählen. Ebenso darüber, wie man Menschen mit Musik erreicht, wie man sie dabei zusammenbringt und für etwas begeistert.

Herr Fotsch, gibt es in Ihrem Leben Momente ohne Musik?
Eigentlich nicht. Ich habe ein eigenes Radio im Kopf. Im Hintergrund erklingt ständig eine Melodie, ich vernehme eine Singstimme oder ein Instrument. Manchmal denke ich über einen Song nach, und wenn ich aktiv Musik mache, bin ich erst recht von Musik umgeben.

Wie entdeckten Sie, dass Musik Ihr Ding ist?
Als Kind habe ich oft gesungen. Spielfreunde oder die Familie machten mich darauf aufmerksam, da ich mir dessen gar nicht bewusst war. Später entdeckte ich meine Liebe zur Flamenco-Gitarre und zur irischen Bouzouki (Red.: Langhalslaute mit birnenförmigem Boden). Ich spezialisierte mich auf diese zwei Instrumente und besetzte so eine Nische. Das war ein Vorteil. Ein Profil wie meines gab es nicht oft. Deswegen wurde ich von anderen Musikern oder Gruppen gebucht. So wurde Musik zu meinem Beruf.

Sie waren in jungen Jahren viel in Europa unterwegs und traten dort auf, wo es sich ergab. Eine wichtige Schule für Sie als Musiker?
Ja, sehr. Ich sammelte viel Erfahrung. Wenn ich etwa im Kosovo bei einer Hochzeit der Musik zuhörte, wurde ich spontan eingeladen, als «Special Guest» aufzutreten. So kam ich in Kontakt mit einheimischen Musikerinnen und Musikern und der dortigen Musik. Das brachte mich als Musiker entscheidend voran und es öffnete mir die Augen für fremde Musiktraditionen.

Daraus entstand eine dritte Liebe, Ihre Liebe zur Weltmusik.
Das ist richtig. Anfang der 1990er-Jahre ist daraus die Band Ssassa entstanden. Ich traf auf Menschen, die diese Liebe mit mir teilten. Die Band verbindet seither Musikelemente aus verschiedenen Ländern und Kulturen zu etwas Eigenem. Ich nenne es einen Schmelztiegel mehrerer Musiktraditionen. Die Bandmitglieder stammen aus unterschiedlichen Ländern, uns verbindet die Hingabe an die Musik und ihre Vielseitigkeit.

Was bedeutet Ssassa?
Der Begriff verweist auf einen Rhythmus, der mit «sa-sa» ausgesprochen werden kann. Gleichzeitig wollten wir etwas Spezielles und fügten zweimal den Buchstaben s hinzu. Daraus ergab sich Ssassa, ein künstlich gebildetes Wort.

Wie entstand die Idee zu «Limmattaler Songs»?
Mit Ssassa habe ich beim «Klangteppich Limmattal» mitgemacht (Red.: ein anderes Projekt der Regionale 2025). Auf diesem Weg lernte ich die Regionale 2025 und deren Ziele kennen. Rasch ging mir auf, dass ich auch etwas beitragen könnte. Die Idee, die kulturelle Vielfalt im Limmattal zum Thema zu machen, lag für mich rasch auf der Hand.

Inwiefern?
Aus früheren Auftritten mit Ssassa wusste ich, welch grosses Potenzial darin steckt. Kulturelle Vielfalt ist eine Ressource. Sie nach vorn zu rücken mit Musik, Gesang und Tanz, das schien mir eine wichtige Sache. Und auch eine Gelegenheit, das Zugehörigkeitsgefühl zum Limmattal zu stärken.

Sie leben in Mellingen. Welche Beziehung haben Sie zum Limmattal?
Ich wuchs in Regensdorf auf. Das Limmattal war für mich als Kind und Jugendlicher immer ein Magnet. Es bedeutete damals die grosse Welt. Dort pulsierte das Leben, ein Riesenunterschied zum beschaulichen Regensdorf. Ich erinnere mich, dass ich mit Freunden über Weiningen nach Spreitenbach fuhr. Im Shoppingcenter kauften wir ein Softeis und waren wie beseelt von Glück. Hinzu kommt, dass Ssassa seit je die meisten Konzerte im Limmattal spielt. Im Laufe der Jahrzehnte vertiefte sich dadurch die Verbindung zum Tal und zu seinen Menschen.

Wie erleben Sie die Limmattalerinnen und Limmattaler?
Mir fällt immer wieder die erwähnte Vielfalt auf. Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Sprache leben eng nebeneinander. Wenn sie an einem unserer Konzerte sind, fallen die Unterschiede weg. Die Musik reisst allfällige Mauern zwischen ihnen ein. Die meisten bewegen sich zum Rhythmus, sie klatschen, tanzen, singen. Es entsteht eine echte Verbundenheit zwischen den Menschen. Das beweist mir die Kraft der Musik und das fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Bei Kindern ist das noch viel ausgeprägter als bei Erwachsenen. Sie reagieren spontan und intuitiv auf Musik. Musik ist stark.

Diese Kraft rücken Sie mit «Limmattaler Songs» in den Mittelpunkt. Was haben Sie vor?
Die Schülerinnen und Schüler im Limmattal sind es gewohnt, mit kulturellen Unterschieden zu leben. Letztere sind Teil ihrer Realität. Da setzt mein Projekt an. Wo treffen sie sich mit Freunden? Was bedeutet ihnen ihre Wohngemeinde? Wie erleben sie das Miteinander? Wie gehen sie mit Unterschieden in Sprache und Verhalten um? Wo sind sie zu Hause? Was ist toll an ihrem Quartier? Solche Fragen sollen die Kinder in ihren Songs aufgreifen. Wir von Ssassa, die Lehrpersonen sowie weitere Limmattaler Künstlerinnen und Künstler unterstützen sie dabei.

Sie wollen damit auch die Identität aller Beteiligten mit dem Limmattal fördern. Wird das gelingen?
Davon bin ich überzeugt, ja. Für ein Kind mit Migrationshintergrund ist die Frage nach der Heimat nicht einfach zu beantworten. Wenn es uns gelingt, seine Bindung zum Quartier, zur Gemeinde, zur Region zu stärken, ist viel Gutes getan. Es fühlt sich dort eher zu Hause, eher eingebunden in die Gemeinschaft. Ich möchte, dass Kinder verschiedener Gemeinden sich treffen und sich ihre Songs gegenseitig vorstellen. Das wird helfen, neue Brücken im Limmattal zu schlagen. Die Kinder lernen sich über die Songs kennen, ebenso die Eltern, die Lehrpersonen und alle, die in das Projekt auf die eine oder andere Weise involviert sind.

Ein Song ist bereits entstanden. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Sehr gute Erfahrungen! Drei Primarschulklassen aus Weiningen haben beim Projekt mitgewirkt. Während einer Projektwoche haben die Kinder mit den Lehrpersonen Gesang und Tanz einstudiert. Mitte Dezember 2022 traten sie vor ihren Eltern auf. Die Begeisterung der Kinder hat mich sehr berührt und die Projektidee bestätigt.

Was möchten Sie bis 2025 erreichen?
Es wäre schön, wenn weitere Limmattaler Gemeinden dem Beispiel von Weiningen folgen würden. Schlieren und Dietikon haben ihre Teilnahme am Projekt bereits bestätigt. Mit Baden, Neuenhof, Spreitenbach, Wettingen und Zürich laufen zurzeit Gespräche. Ich bin zuversichtlich, dass ich auch von dort bald eine Zusage erhalte. 2025 will ich ein Konzert veranstalten mit allen bis dahin entstandenen Songs und mit allen beteiligten Kindern. Es wäre auch toll, wenn wir bis dahin zwei CDs produzieren könnten. Auf einer CD singen die Kinder die Songs, auf der anderen Limmattaler Künstlerinnen und Künstler. Im Moment entsteht übrigens ein übergeordneter Limmattaler Song, gewissermassen eine Hymne des Limmattals. Sie ist ebenso Teil des Projekts.

Sie führen Gespräche mit Gemeinden. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit?
Im Allgemeinen läuft alles bestens ab. Zu verdanken ist das hauptsächlich der Regionale 2025, die mir viele Türen geöffnet hat, auch zu einem breit abgestützten Sponsoring. Das erleichtert die Arbeit an einem solchen Projekt ungemein. Dank der Regionale 2025 stehe ich zudem in Kontakt mit anderen Projektleitenden. Wir tauschen Erfahrungen aus. Es ist ein Netzwerk entstanden, das wir für unsere jeweiligen Projekte nutzen. Das spart Zeit und Aufwand und sorgt für wichtige Impulse.

Durch das Limmattal führt eine Kantonsgrenze. Die Kantone Aargau und Zürich gehen manches unterschiedlich an. Realisieren Sie diese Unterschiede?
Nein, die Kantonsgrenze ist für mich kein Thema. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich es gewohnt bin, kantonsübergreifend zu arbeiten. Ssassa tritt schweizweit auf. Ich muss mich regelmässig nach unterschiedlichen Verwaltungs- und Organisationsstrukturen richten. Das gehört halt zur Schweiz.

Stichwort «Schweiz»: Sie planen, die Idee der «Limmattaler Songs» auf andere Landesregionen zu übertragen. Wo stehen Sie da?
Das neue Projekt heisst «Let’s sing oise Song». Die Idee ist die gleiche wie bei «Limmattaler Songs». Gegenwärtig bin ich daran, die Förderung des neuen Projekts zu organisieren.

«Limmattaler Songs» dient somit als Blaupause für das neue Projekt.
Richtig. Das Limmattal präsentiert sich hier als Pionierregion. Das weckt Interesse und Aufmerksamkeit. Viele Projekte der Regionale 2025 haben dieses Potenzial. Das Limmattal stellt auch ein Ideenlabor dar, dessen Resultate eine grosse Bedeutung für andere Regionen besitzen. Die Regionale 2025 hat da einiges ins Rollen gebracht.      

Das Projekt

Das Projekt «Limmattaler Songs» geht auf eine Idee von Christian Fotsch zurück (siehe unten). Der Musiker möchte mit Musik, Gesang und Tanz das Verständnis für die verschiedenen Kulturen im Limmattal fördern. Das Projekt spricht Schülerinnen und Schüler an, da sie das Nebeneinander mehrerer Lebensweisen und Sprachen Tag für Tag in der Schule erleben. Mit Fotschs Unterstützung erarbeiten sie einen eigenen Song über ihre Lebensrealität und stellen ihn Schulklassen anderer Limmattaler Gemeinden vor. «Limmattaler Songs» stärkt so das gemeindeübergreifende Kennenlernen sowie die Identifikation mit dem Limmattal. Fotsch reichte das Projekt Ende 2021 bei der Regionale 2025 ein. Ein Jahr später entstand der erste Song: Primarschulklassen aus Weiningen realisierten den Song «Oises Winige». Andere Gemeinden sagten inzwischen zu, bei «Limmattaler Songs» ebenso mitzumachen. Das Projekt ist für die finale Projektschau 2025 nominiert.
regionale2025.ch (Limmattaler Songs)
Song «Oises Winige» 

Die Person
Christian Fotsch ist Musiker und Komponist. Der 60-Jährige wuchs in Regensdorf auf und ist heute in Mellingen zu Hause. Seine Leidenschaft gehört den Saiteninstrumenten und der Weltmusik. 1993 gründete er mit Gleichgesinnten die Gruppe Ssassa, die seitdem die Vielfalt und den Reichtum unterschiedlicher Musiktraditionen feiert. Ssassa mischt albanische, griechische und mazedonische Musik mit der aus dem arabischen Raum oder aus Algerien – stets gepaart mit viel Musik der Sinti und Roma. Fünf Mitglieder bilden den Kern der Gruppe, bisweilen wächst sie bis zu einer 25-köpfigen Formation an. Ssassa trat bereits im Rahmen des «Klangteppichs Limmattal» auf, eines anderen Projekts der Regionale 2025.
ssassa.ch
regionale2025.ch (Klangteppich Limmattal)