Regionale 2025

Projektschau

Limmattal

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Neue Ideen für Gesellschaft, Raum und Kultur.

Wegweisende Projekte für ein vernetztes Limmattal.

Eine Plattform für Menschen, die das Limmattal gestalten.

Impulsgeberin und Motor für die Region.

Projektstory

Bringt euch ein!

Die Jugendlichen von heute sind die Erwachsenen von morgen. Ihre aktuellen Erfahrungen bestimmen mit, wer sie sein werden. Kultur kann diese Erfahrungen positiv beeinflussen. Das zeigt das Limmattaler Projekt «Zwischenzimmer».


Zwischen Dietikon und Spreitenbach verläuft eine Grenze. Sie teilt das Limmattal auf in den aargauischen und den zürcherischen Teil. Alle kennen die Grenze, nur wenige wissen, wo sie genau durchführt. Für diese Kantonsgrenze haben sich im Frühjahr 2021 je zwei Oberstufenklassen aus Dietikon und Spreitenbach interessiert. Die Grenze spannt vor ihren Haustüren einen Zwischenraum auf, der einen Teil ihrer Lebensrealität darstellt.

Gelegenheit zu dieser Auseinandersetzung bot das Projekt «Zwischenzimmer». Darin ging es nicht allein um diesen Zwischenraum, die 64 Schülerinnen und Schüler widmeten sich ebenso dem Verhältnis zwischen privat und öffentlich – denn auch dort entfalten sich Zwischenräume. Sie bilden Übergänge, Stufen, Schwellen. Manchmal trennen sie scharf, manchmal verlaufen sie fliessend, oft sind sie kaum fassbar.

Unsere Lebenserfahrung lehrt ebenso: Wo es eine Grenze gibt, existieren zwei Seiten. Ein Da und ein Dort, ein Hier und ein Drüben. Und beide Seiten wirken auf unser Handeln und Verhalten ein. «Wenn ich drinnen bin, bin ich ich selber», schreibt eine Schülerin im Abschlussbericht des Projekts, «draussen kann ich irgendwie nicht mein eigenes Ich zeigen.» Und einer ihrer Kollegen hält fest: «Wenn ich drinnen bin, habe ich meistens sehr viel Langeweile. Draussen habe ich sehr viel Spass mit meinen Freunden. Ich fühle mich draussen besser als drinnen.»

Kunst dient der Auseinandersetzung
Die Idee zu «Zwischenzimmer» hatte die Fachstelle Kulturvermittlung des Kantons Aargau, und zwar im Rahmen des Programms «Kultur macht Schule». Gunhild Hamer hat die Fachstelle aufgebaut. Sie ist heute deren Leiterin und sagt: «Die Schülerinnen und Schüler sollten aktiv ihren Lebensraum mitdenken und ihre Ideen und Gedanken in künstlerischer Form einbringen. Sie verbringen viel Zeit im öffentlichen Raum. Dort treffen sie sich, dort zeigen sie sich, dort läuft etwas. Ihr Interesse am öffentlichen Raum ist daher gross. Wir wollten zudem die Möglichkeit schaffen, dass sie die Wahrnehmung für die eigene Identität schärfen. Dietikon und Spreitenbach sind Nachbargemeinden. Die eine liegt im Kanton Zürich, die andere im Aargau. Das beeinflusst die eigene Identität. Es stellen sich Fragen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden und zu Möglichkeiten, wie man Grenzen überwindet.»

Passende Unterstützung erhielten die vier Schulklassen von einem künstlerischen Team der «Firma für Zwischenbereiche». Wichtig war, die Jugendlichen in die Aufgabe hineinwachsen zu lassen und sie anschliessend zu begleiten. Das Team steckte den Rahmen der Auseinandersetzung ab und stellte die Werkzeuge zur Verfügung, um künstlerisch tätig zu werden. Die Jugendlichen führten unter anderem Theaterszenen in der Ikea auf, sie verteilten mit Megafon Komplimente an Passanten, sie machten eigene Ansagen in Bussen, sie sangen vor einer Tankstelle oder platzierten selbst beschriftete Post-it-Zettel im öffentlichen Raum.

«Die Schülerinnen und Schüler exponierten sich in ungewohntem Kontext. Das erforderte Mut und Überwindung. Sie lernten ihre eigene Persönlichkeit besser kennen, auch der Austausch untereinander wurde stark gefördert», fasst Hamer zusammen. Das Verhältnis zwischen Dietikon und Spreitenbach wird von Vorurteilen überschattet. Jede Begegnung bietet daher eine Gelegenheit, diese zu überwinden. «Das Projekt zeigt deutlich, wie Kultur einen elementaren, identitätsstiftenden Beitrag leistet für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade auch über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg. Diesen Wert der Kultur gilt es bewusst zu machen und zu vermitteln. Das haben wir mit diesem Projekt erreicht.»

«Bestehende Erfahrungen durchleuchten»
Das Projekt dauerte 14 Tage. «Als Projektort wurden drei Räume abseits der Schulhäuser organisiert. Sie dienten den Schülerinnen und Schülern als Basis», erklärt Silvia Hildebrand von der Fachstelle Schule+Kultur des Kantons Zürich. Die Fachstelle hat das Projekt mitgetragen. Ein konkreter inhaltlicher Bezug zur Schule bestand nicht, trotzdem war das Projekt in den Unterricht eingebunden. Die Lehrpersonen übernahmen wichtige Rollen an der Schnittstelle zwischen Schule und Projekt.

Es gab kein Richtig oder Falsch wie sonst in der Schule. Keine Noten, keine Beurteilungen. Es wurde genauso wenig auf ein definiertes Ergebnis hingearbeitet. Das künstlerische Team legte grossen Wert darauf, dass sich die Jugendlichen frei fühlten. Sie sollten sich trauen, Neues zu wagen.

«Zu experimentieren, dazu lud das Projekt ein», verdeutlicht Hildebrand. «Mit ihren Aktionen und Auftritten rüttelten die Schülerinnen und Schüler an Konventionen. Sie wurden sichtbar, sie veränderten Orte, ihnen wurde bewusst, dass sie das Leben in ihrem privaten, halbprivaten und öffentlichen Lebensumfeld mit eigenen Ideen aktiv mitprägen können. Wo fühle ich mich zu Hause? Warum gehöre ich hierhin und nicht dorthin, und was hat das mit meiner Familie oder mit meinen Freundinnen oder Freunden zu tun? Wem gehört der öffentliche Raum? Was macht einen privaten Ort zu einem privaten Ort? Auf solche Fragen fanden die Jugendlichen eigene Antworten. Sie durchleuchteten ihre bestehenden Erfahrungen und erprobten neue.»

Unsicherheiten und Schwierigkeiten aussprechen
Das künstlerische Team war bestrebt, das Vertrauen der Jugendlichen in ihre eigenen Möglichkeiten zu stärken. Vertrauen fördert das Zulassen und Entwickeln eigener Einfälle – mit dem Ergebnis, dass fast automatisch Beteiligung und Begeisterung herauskommt. «Die Jugendlichen konnten spüren, dass ihre Ideen gut sind», so Hildebrand. «Das war wichtig. Das künstlerische Team fand schnell einen guten Draht zu ihnen. Es strukturierte die Projekttage sinnvoll und konnte so dieses Vertrauen aufbauen.»

Bevor die Projektwoche begann, wurde ein Kick-off-Tag organisiert. Die Jugendlichen lernten das künstlerische Team und den Projektort kennen. Die Beziehungen untereinander wurden während der Projektwoche durch gemeinsame Mittagessen bewusst ausgebaut. Dabei blieb genug Zeit, über Persönliches unbeschwert zu plaudern. Gegen Feierabend sass man zusammen, um das am Tag Erreichte zu besprechen. Unsicherheiten und Schwierigkeiten konnten in einem geschützten Rahmen geteilt werden.

«Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis», lautet Silvia Hildebrands Fazit. «Es war schön zu sehen, wie den Jugendlichen neue Welten aufgegangen sind und wie mutig sie ihren eigenen Ideen und Vorstellungen Ausdruck verliehen haben.» Das Kennenlernen von künstlerischen Methoden habe ihnen neue Ausdrucksmöglichkeiten an die Hand gegeben. «Beeindruckend war schliesslich die Präsentation des Films von Susanne Hofer. Der Film dokumentiert den ganzen Projektprozess und wurde im grössten Saal im Kino Pathé in Spreitenbach gezeigt. Die Jugendlichen fühlten sich wie Filmstars.»

Gunhild Hamers bezeichnet das Projekt als wesentliche Bereicherung. Sie sagt: Das Thema ‹privat, halbprivat, öffentlich› hat sich als relevant und schülerinnennah erwiesen. ‹Zwischenzimmer› bot viele neue Blickwinkel auf Orte, Leben und Alltag in einem besonderen Teil des Limmattals.»

Premiere für überkantonale Zusammenarbeit
Die beiden Fachstellen für Kulturvermittlung haben für «Zwischenzimmer» erstmals gemeinsam ein Projekt realisiert. «Es bestanden bereits gute Beziehungen zwischen den zwei Fachstellen. Die Kooperation konnte deshalb rasch und unbürokratisch umgesetzt werden», sagt Hamer. Sie gibt gleichzeitig zu bedenken: «Kooperationen sind aufwendig. Je mehr Akteurinnen und Akteure involviert sind, umso mehr Absprachen sind vonnöten.»

In die Zeit der Projektdurchführung fiel überdies die Coronapandemie. «Sie hat die Durchführung erschwert, es gab immer wieder Verschiebungen. Dennoch haben wir sämtliche Herausforderungen gemeistert. Die interkantonale Zusammenarbeit war ein grosser Erfolg und ruft nach Wiederholung.»

Silvia Hildebrand rückt einen weiteren, interessanten Aspekt in den Vordergrund: «Dank solcher Kooperationen kommen mehr Ressourcen zusammen. Sie können für grössere, längere Projekte eingesetzt werden. Beispielhafte Vorhaben wie ‹Zwischenzimmer› werden so überhaupt erst möglich. Auch deshalb hat sich unsere Fachstelle auf dieses erste gemeinsame Projekt sehr gefreut.»

Und wie geht es weiter? «Als Nächstes ist 2024 eine filmdokumentarische Ergänzung geplant. Darin sollen Stimmen beteiligter Jugendlicher eingefangen werden. Wie blicken sie auf das Projekt zurück? Diese Frage wird im Mittelpunkt stehen. Der bereits bestehende Projektfilm und diese Ergänzung sollen 2025 an der Projektschau der Regionale 2025 gezeigt werden», erklärt Hildebrand.

Und ist eine weitere Zusammenarbeit der zwei Fachstellen geplant? «Das wäre schön, aber geplant ist im Moment noch nichts», antwortet Hamer. «Das Programm von ‹Zwischenzimmer› bieten wir auf jeden Fall als Projektwochenformat in beiden Kantonen an. Schulen anderer Gemeinden können es somit buchen und selbst vor Ort durchführen.»

Kultur bringt vieles in Bewegung – auch Sichtweisen, Vorurteile und Überzeugungen. Sie baut Brücken, die Grenzen überwinden. Das erlebten die Jugendlichen dank «Zwischenzimmer» hautnah. Sie machten die grossartige Erfahrung, dass sie das Zusammenleben gestaltend mitbestimmen können. Fortan sollte eine ihrer Devisen lauten: Wir bringen uns ein und fordern unseren Platz!

Zwischenzimmer

Das Projekt «Zwischenzimmer» geht auf eine Initiative des Kantons Aargau zurück (Fachstelle Kulturvermittlung). Vier Oberstufenklassen aus dem Limmattal haben sich mit ihrem Lebensraum beschäftigt, und das auf künstlerische Art und Weise. Wo endet das Private, wo beginnt das Öffentliche? Wie verhalte ich mich im Draussen und wie bringe ich mich dort ein? Solche Fragen standen im Mittelpunkt. Die Jugendlichen aus Dietikon und Spreitenbach haben geschrieben, gefilmt, getanzt, gemalt, gesungen. Ihre Arbeiten wurden in einem Heft und in einem Film festgehalten. Das Projekt – ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit der Fachstelle Schule+Kultur des Kantons Zürich – wurde von der «Firma für Zwischenbereiche» konzipiert und fand zwischen April und Juni 2021 statt. Die «Firma für Zwischenbereiche», ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, hat die Jugendlichen während der Projektdauer betreut und gecoacht. «Zwischenzimmer» ist für die grosse Ausstellung im Jahr 2025 ausgewählt.

Links:

Kultur macht Schule (Kanton Aargau)

Schule+Kultur (Kanton Zürich)

Firma für Zwischenbereiche

Silvia Hildebrand

Die Kulturvermittlerin beschäftigt sich mit Themen rund um Kunst und Wissen. Sie arbeitet bei «Schule+Kultur» der Bildungsdirektion Kanton Zürich. Die Fachstelle hat sich an der Realisierung von «Zwischenzimmer» beteiligt und das Projekt begleitet.

Gunhild Hamer

Gunhild Hamer verantwortet die Kulturvermittlung des Kantons Aargau und ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Kultur. Sie hat «Zwischenzimmer» initiiert und die Zusammenarbeit mit der Fachstelle Schule+Kultur aus Zürich vorgeschlagen.